Der verhängnisvolle Kommißpekko

Novellette von Paula Kaldewey
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 26.11.1905


„Major und Frau Nordeck beehren sich, Herrn Hauptmann von Damnitz Sonnabend, den 3. d. M., zu einer Tasse Tee ergebenst einzuladen. U. A. w. g.”

„Also die Kommißpekkos nehmen bereits wieder ihren Anfang, obgleich man kaum erst aus dem Manöver zurück ist! Der Höchstkomman­dierende läutet ja frühzeitig den Winter ein und wird einmal an der Schnur gerissem — gibt's auch kein Halten mehr. Eine Festivität jagt die andere; unsere jungen Dachse schwingen Abend für Abend unter einem neuen Dache das Tanzbein und das Ergebnis der Saison ist das übliche: ein paar goldumränderte Kärtlein und ein paar gebrochene Herzen. Na, mir kann's recht sein, wenn ich nur mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hätte! Aber beim Vorgesetzten absagen — gibt's nicht, alter Junge! Da wird schönstens hinspaziert und Wanddekoration geliefert.”

Aergerlich warf der nicht mehr ganz jugendliche Offizier die Einladung, die ihm der Bursche eben überbrachte, in eine Ecke des Schreibtisches, zündete sich eine Zigarre an und wanderte dann, mächtige Rauchwolken vor sich hinblasend, rastlos im Zimmer auf und ab.

Die gute Laune war ihm mit einem Schlage durch das harmlose briefchen genommen.

Wer, um des Himmels willen, mochte wohl der Erfinder jener selbstquälerischen Einrichtung sein, bei der man mit entzücktem Gesicht während der unfreundlichen Jahreszeit mehrmals in der Woche die Füße unter einen fremden Tisch stecken, zu oft gehörten Witzen immer von neuem lachen und sauren Mosel trinken mußte, indes man daheim in der gemütlichen Garçonwohnung oder im Kasino ganz nach seinem Gusto leben konnte und auf keinen andern Menschen Rücksicht zu nehmen brauchte.

Allein in unabänderliche Dinge gilt es sich eben zu fügen — eine Weisheit, der sich auch Udo von Damnitz nicht verschloß.

Infolgedessen sah er dem anfangs so gefürchteten Sonnabend schließlich mit ruhiger Gelassenheit entgegen; ja, er tat noch mehr! Als er sich an jenem Tage zur gewohnten Stunde zum gemeinsamen Mittagstisch begab, da machte er einen Augenblick vor dem einzigen Blumenladen des Städtchens halt, betrat das Innere desselben und wählte einen Strauß dunkler Rosen.

Nachdem er seine Visitenkarte hinzugefügt, erteilte er der Verkäuferin den Auftrag, das Bukett unverzüglich bei „Majors” abgeben zu lassen.

„Sie wissen doch, wo diese wohnen?” schloß er fragend.

„Jawohl, Herr Hauptmann,” lautete die Antwort, „in dem Eckhaus an der Promenade,”

„Ganz recht! Etwas weiteres ist nicht zu bestellen.”

Er faßte flüchtig an die Mütze und eilte dann ins Kasino, wo er als Rangältester an der Tafelrunde den Vorsitz führte.

*           *           *

Pünktlich um acht Uhr füllten sich die Nordeckschen Räume mit den geladenen Gästen.

Auch Damnitz befand sich unter ihnen.

Nachdem er den Hausherrn begrüßt, trat er an dessen Gattin heran und verneigte sich mit ehrfurchtsvoller Verbeugung in der stillen Hoffnung, nun den Dank für seine zarte Aufmerksamkeit zu erhalten.

Doch nhichts von alledem.

Wohl schüttelte ihm die Kommandeuse freundschaftlich die Hand und sagte ihm ein paar verbindliche Worte über sein Kommen, allein der Blumen gedachte sie mit keiner Silbe und — so weit er umherspähte — auch in den festgeschmückten Zimmern vermochte er sie nirgends zu entdecken.

Ein wenig verdrießlich zog er sich zurück und lehnte nun wirklich an der Wand, um das bunte Gewirr in Ruhe überschauen zu können, während sich in seinem Innern der Wunsch auslöste, daß die folgenden Stunden, von denen er sich nichts anderes versprach als Oede und Langeweile, nur recht schnell enteilten.

Zerstreut ließ er den Blick über die Tür schweifen, die sich jetzt noch einmal öffnete, um zwei Damen Einlaß zu gewähren. Ihm, der erst seit kurzer Zeit hier in Garnison stand, waren sie nur flüchtig bekannt; die verwitwete Frau Major Hohenborn und ihre Tochter, eine zierliche, lebensfrohe Brünette.

Im Begriffe, seine Aufmerksamkeit neuen Dingen zuzuwenden, stutzte er plötzlich.

Sah er recht?

Trug Edith Hohenborn, die sich just der Hausfrau näherte, in der Rechten nicht die für die letztere bestimmten Blumen? Dunkle Rosen, wie er sie selber vor kurzem gewählt?

Wie war das möglich?

Auf einmal durchzuckte ihn der Gedanke, daß hier eine Verwechslung zugrunde liegen müsse. Allein wie sie zustande gekommen, dafür fehlte ihm jede Erklärung.

Vielleicht, daß einer der Kameraden Bescheid geben konnte.

Udo winkte einen Offizier seiner Kompagnie zu sich heran und fragte ihn halblauten Tones:

„Hören Sie mal, Trebnitz, wo wohnen Hohenborns eigentlich?”

„Hier im Hause, Herr Hauptmann, im zweiten Stockwerk.”

„Ah — so!”

Nun war ihm mit einem Male alles klar.

Der Gärtnerbursche, dem kein Name genannt, sondern der nur den Auftrag erhalten, den Strauß bei Majors abzuliefern, war einfach seinem natürlichen Empfinden gefolgt und hatte ihn dorthin gebracht, wo eine junge Dame im Hause lebte. Denn daß man auch einer älteren zuweilen Blumen schenkte, davon wußte er wahrscheinlich wenig oder gar nichts. In seiner ländlichen Heimat kannte man jene Mode jedenfalls nicht.

Beinahe hätte Damnitz laut aufgelacht.

Er, der den vierzig nicht mehr fern, schickte einem Backfischchen zu einem Kommißpeko Rosen, ausgerechnet rote Rosen. Wie sich die Kameraden darüber wundern würden, die den Spender doch sicherlich bald erfuhren. Und sollte er überall herumlaufen und sagen: „Das Ganze beruht auf einem Mißverständnis! Für die Kleine, die sich so sichtlich darüber gefreut, waren sie überhaupt nicht bestimmt!” Nein, das brachte er denn doch nicht übers Herz. Er mußte die ihm wider Willen aufgenötigte Rolle durchführen, mochte es ihm noch so schwer fallen.

Und da kam jene auch schon auf ihn zu, streckte ihm mit dem hinreißendsten Lächeln das Händchen entgegen und sprudelte strahlenden Antlitzes hervor:

„Vielen Dank, Herr Hauptmann, für die liebenswürdige Aufmerksamkeit, die Sie mir erwiesen. Ich habe mich unendlich darüber gefreut,” schloß sie leise.

„Das sieht man Deinem Gesichtchen an,” hätte Udo am liebsten erwidert, jedoch als Kavalier verneigte er sich und entgegnete:

„Aber ich bitte, mein gnädiges Fräulein — die Kleinigkeit ist wirklich nicht der Rede wert. Und wenn sie Ihnen nur ein wenig Vergnügen bereitet, dann hat sie ihren Zweck in vollem Maße erfüllt.”

„O Du Schauspieler,” zog es ihm durch den Sinn, während er den Blick auf der vor ihm Stehenden haften ließ, die ihn mit treuherzigen kindlichen Augen anschaute, deren Wangen vor Erregung glühten und deren feingeschnittenes Mündchen ihm erwartungsvoll entgegenlächete.

„Eigentlich eine reizende Krabbe. Also, da wir einmal A sagten, muß jetzt auch das B kommen,” entschied er sich schnell und seine hohe Gestalt zu ihr niederbeugend, fragte er bittend:

„Nachdem Sie, gnädiges Fräulein, mir die Ehre erzeigten, meine bescheidenen Blumen zu würdigen, setzen Sie jetzt vielleicht Ihrer Güte die Krone auf und dulden mich während des Soupers als Tischherrn an Ihrer Seite.”

„Herzlich gerne, Herr von Damnitz.”

Er bot ihr den Arm und folgte den übrigen, die sich zwanglos an den vielen kleinen Tischen gruppierten, die in den verschiedenen Räumen aufgestellt waren, und wählte — vielleicht nicht ganz unabsichtlich — einen, an dem außer ihnen nur noch zwei Personen Platz fanden und den bereits ein junges Liebespaar, das nur Sinn füreinander hatte, einnahm.

Denn mit einem Male machte es dem Hauptmann Vergnügen, die Psyche dieses Mädchenherzens zu ergründen.

Wie wenig wußte er im allgemeinen von der Frau und ihrem Empfinden!

Nach dem Tode der Mutter, der ihn, da sein Vater beständig auf Reisen lebte, schon frühzeitig der Heimat beraubte, war er im Korps aufgewachsen, und hier beschränkte sich sein Verkehr nur auf die Kameraden. Und wie dem Kadetten, so erging es dem jungen Offizier! In den Feiertagen, die die anderen im Elternhause zubrachten, verblieb er stets einsam in der Garnison; Familienverkehr, außer dem unumgänglich notwendigen im Regiment, suchte und fand er keinen, und schließlich machten die Jahre aus dem erst Heiteren einen verbitterten, grüblerischen Menschen, der sich immer mehr von der Außenwelt zurückzog und dessen Interessen mit dem Dienst so ziemlich erschöpft waren.

Infolgedessen hatte man sich von allen Seiten daran gewöhnt, den Einsiedler seiner Wege ziehen zu lassen.

Und nun erkor ihn das Schicksal heute plötzlich zum Ritter eines jungen Mädchens, dem er während einiger Stunden die volle Aufmerksamkeit widmen mußte.

Ordentlich komisch kam er sich vor in dieser Rolle, die ihm so ungewohnt.

Aber selbst dazu blieb ihm eigentlich nicht einmal viel Zeit, denn Edith Hohenborn, stolz darauf, einen älteren Hauptmann als Kavalier an der Seite zu nhaben, öffnete alle Schleusen ihrer Beredsamkeit und erzählte so viel, daß er nur zu lauschen und selten eine Frage einzuwerfen brauchte.

Von ihrem ersten Ball, den sie im vorigen Winter mitgemacht, von der Sommerreise, von den Freundinnen und dem Bruder, der an der Ostgrenze in Garnison stand, mußte er sich berichten lassen, und sie war so drollig in ihrer Ausdrucksweise, daß der ernste Mann zuweilen laut auflachte. Ja, er fühlte, wie es ihm ordentlich warm ums Herz wurde bei dem fröhlichen Mädchengeplauder, wie sich allmählich die starre Rinde der Verbitterung löste, die es so fest umklammert hielt.

Nun kam ihm auch mit einem Male die Anschauung der Kameraden, die oft in geradezu überschwenglicher Art von den Vorzügen des weiblichen Geschlechts sprachen, gar nicht mehr unbegreiflich oder gar widersinnig vor, und er vermöchte zu verstehen, wie so mancher unter ihnen die Gründung eines eigenen Herdes herbeisehnte, um für alle Zeiten solch ein lebenslustiges Geschöpfchen an sich zu fesseln —

Ein Ausruf des Bedauerns schlüpfte über Damnitz' Lippen, als Frau Nordeck die Tafel aufhob, und auch Edith machte ein betrübtes Gesichtchen.

So gut hatte sie sich noch niemals unterhalten wie in dieser Stunde an der Seite des stattlichen Mannes, zu dem sie anfangs mit einer leisen Scheu aufgeblickt, die sich aber gar bald bei seinem heiteren Lachen verloren.

Mit einem warmen Händedruck schieden sie voneinander, allein noch oftmals im Laufe des Abends begegneten sich ihre Blicke um sich dann schnell, als befänden sie sich, auf verbotenen Wegen, wieder fortzuwenden.

ndlich schlug aber für alle Gäste die Stunde des Scheidens.

Als einer der letzten verließ Udo von Damnitz das Haus; zuvor jedoch hatte er noch belauscht, mit welch liebevoller Sorgfalt Edith Hohenborn die Blumen verwahrte, die er ihr geschenkt.

Mit einem halblaut geflüsterten,. „Auf baldiges Wiedersehen” war er dann von ihr gegangen.

Draußen im Freien schlug er den Paletotkragen auf und pfiff ein Lied vor sich hin.

Noch litt es ihn nicht in seiner Wohnung. Er wollte versuchen, einige der Kameraden zu treffen, denn es drängte ihn, unter Menschen zu sein.

Im „Schwarzen Bären” war trotz der mitternächtlichen Stunde eine stattliche Anzahl Trinklustiger versammelt, Offiziere, Juristen und Aerzte. Auch mehrere der Eingeladenen, die vor ihm das Fest verlassen, befanden sich darunter.

Mit einem lauten Halloh wurde er begrüßt.

„Damnitz, Heuchlerseele,” tönte es von verschiedenen Seiten, „nun bekennen Sie einmal Farbe!”

„Ich verstehe Sie nicht, meine Herren!”

Lächelnd tat der Hauptmann einen tiefen Schluck.

„Sie haben doch Fräulein Hohenborn das Bukett geschickt?”

„Allerdings.”

„Trotzdem wollen Sie uns immer vorreden, das Ewig-Weibliche zöge Sie nicht hinan?”

„Und wenn diese Errungenschaft erst allerneuesten Datums wäre — was dann?”

„Dann kann das bei einem Menschen von Ihrem Naturell nur eine einzige Folge haben: nämlich eine Hochzeit, zu der Sie uns hoffentlich sämtlich einladen.”

„Vielleicht,” antwortete Damnitz, während ein träumerisches Lächeln um seine Lippen zuckte.

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